Sunday 2 April 2017

Die Epizykeltheorie des Ptolemäus - (m)ein Überblick

An der Epizykeltheorie lässt sich, wenn man so will, "Aufstieg und Fall der ganzen Menschheit" erklären – weil man daran ganz wichtige Aspekte unseres Umgehens mit Problemen sieht. Ok, das mag jetzt übertrieben sein: Aber einiges an Wahrheit steckt schon darin. Bevor ich (hoffentlich verständlich) zu erklären versuche, was die Epizykeltheorie ist, will ich sie daher in den "ganz großen historischen Kontext" einbetten.

Noch eine Vorbemerkung: Alles, was ich erkläre, ist faktisch ziemlich sicher ziemlich richtig – dazu habe ich in den letzen 40 Jahren genügend darüber gelesen (allerdings finde ich heute die Literatur, wo das alles drinsteht, nicht mehr in unseren Büchermassen). Andererseits ist das natürlich alles meine Strukturierung der und Sicht auf die Zusammenhänge – und da kann (und sollte) man sicher viel daran aussetzen, vor allem wenn's um Geschichtliches geht.

Aber fangen wir an. Hier ist ein handgeschriebener Überblick über die Zeiten (links), Personen (Mitte) und die Themen (rechts), die die Epizykeltheorie auf die eine oder andere Art verknüpft:


Die erste Geburt der Naturwissenschaften ...


Auf den ersten Blick fällt auf, dass sich die Zeiten in zwei Bereichen "zusammenballen": Einmal, etwas weniger im Altertum von 350 v.Chr. bis 150 n.Chr.; und dann wieder, viel extremer, von 1540 bis 1700. Diese beiden historischen Abschnitte sind, aus unserer Sicht von "hinten", die zwei "Geburtsstunden der (Natur-)Wissenschaft": Einmal gab im hellenistischen Bereich offenbar das erste Mal eine kritische Menge von Personen (wenn auch verteilt über ein paar Jahrhunderte), die grundlegend die "Probleme der Welt" angehen und lösen wollen – "alles" will man verstehen, nichts soll "einfach so hingenommen werden". Die Zahl der Themen, die man (z.B. Aristoteles) damit aufreißt, ist enorm: Das Leben will man verstehen, das Universum, die Menschen, die Geschichte, wie und wieso sich alles bewegt, die Vielfalt von allem, aber auch wieso manches so gleich ist, und wie das alles mit den überkommenen Vorstellungen von Göttern und Ahnen zusammenhängt. Und weil Menschen damals genauso intelligent wie heute waren, wurden von diesen ersten "systematisch neugierigen Menschen" – was man heute "Wissenschaftler" nennen würde – unzählige Erkenntnisse gewonnen, und unzählige davon waren richtig. Ich kenne mich nur halbwegs in der Astronomie und Physik aus – aber damals wurde z.B. der Erdumfang i.w. korrekt berechnet oder auch die Mindestgröße von Mond und Sonne (allerdings war die Sonnengröße um einen Faktor von 20 zu klein – aber es war ja eine Mindestabschätzung, insofern war das Ergebnis völlig korrekt), und es gab einzelne (Aristarchos und Seleukos), die erklären konnten, wieso höchstwahrscheinlich die Erde um die Sonne kreist und nicht – wie es für uns auf der Erde aussieht – umgekehrt. Das Letztere war allerdings doch so vage argumentiert, dass praktisch alle anderen, die das interessiert hat, sich dagegen aussprachen, und so blieb allgemein – eben auch in Wissenschaftskreisen – die "vernünftig-normale Annahme" akzeptiert, dass Sonne und Mond und Sterne um die Erde kreisen. Deswegen habe ich die zwei auch nur klein hingeschrieben.

Noch was ist wichtig, damals und später: Die "Wirkungsgeschichte" von Personen und ihren Ideen hängt mit der Art der Verbreitung zusammen: Es ist halt so, dass im Großen und Ganzen die, die viel schreiben, mehr bewirken als die, die nur reden – denn Schriftliches kann man nicht nur zu Lebzeiten des Denkers, sondern auch die Jahrhunderte danach aufnehmen, besprechen und kritisieren. Bei den Personen in meiner Liste habe ich Stifte danebengemalt, wenn sie "unermüdliche Schreiber über vieles waren", insbesondere wenn sie sich als "Enzyklopädisten" verstanden, also als Leute, die "alles und jedes" aufschreiben wollten. Die Enzyklopädien oder Lexika, die auf diese Art entstehen, werden zwar in Fachkreisen gar nicht so schnell als Wahrheit anerkannt – die drei in meiner Liste, insbesondere auch Aristoteles, wurden offenbar über Jahrhunderte hinweg massiv kritisiert: Aber im Lauf der Zeit "gewinnen" solche Werke doch öfter gegen verteilte Einzelveröffentlichungen, weil sie eben so "großmächtig" sind (denke ich mir, in einer Art "Küchenphilosophie der Wirkung").

Speziell hatten die zwei Enzyklopädisten Aristoteles und Ptolemäus im Altertum gar nicht das große Ansehen (Platon wurde im Großen und Ganzen bevorzugt; und Ptolemäus war schon "spät dran" und nur für die naturwissenschaftlichen Spezialgebiete relevant); aber im Spätmittelalter waren sie dann doch groß da.

Bei Aristoteles (und wohl bei anderen) stand nun etwas ganz Wichtiges für die Epizykeltheorie, nämlich: Er machte sich Gedanken (ich möchte nicht sagen "er erdachte Theorien" – dazu ist das ganze zu vage) über Elemente und Bewegung, die sich – in Bezug auf unser Thema – so zusammenfassen lassen:
  • Auf der Erde gibt es vier Elemente, nämlich Feuer, Wasser, Erde und Luft (ja, daher kommt das).
  • Im Himmel aber – und nur dort – gibt es ein eigenes fünftes Element, den "Äther", und der bewegt sich auf Kreisbahnen; "weil der Kreis in seiner überall mit sich selbst gleichen Form die göttlichste Form ist" – nicht wirklich ein Argument, aber wenn man's glauben will ...
Das führte dazu, dass man es als selbstverständlich ansah, dass alle Himmelskörper sich auf Kreisen bewegen müssen (erst Johannes Kepler hat 2000 Jahre später, in einem 20 Jahre langen Nachdenk- und Rechenprozess, diese "Selbstverständlichkeit" über Bord geworfen).
Und Ptolemäus macht sich nun daran, mit Kreisen die Bewegung bestimmter Himmelskörper zu erklären – mehr dazu später im "fachlichen Teil".

... und die zweite (Geburt der Naturwissenschaften)


Historisch ist die Geschichte für uns so interessant, weil ... zuerst einmal nicht viel passiert. Ptolemäus lebt in der hellenistischen späteren Antike und schreibt da seine Enzyklopädie. Im Gegensatz zu dem, was einem in der Schule vermittelt wird, hört die "Zeit der Griechen" nicht mit den Römern auf, sondern die hellenistische Kultur und insbesondere Wissenschaftskultur bleibt rund um das Mittelmeer bis 600 nach Christus und danach, in sozusagen zwiegespaltener Form, im oströmischen Reich und bei den Arabern weiter als eine Art "unsichtbares Fundament" bestehen.

1000 Jahre später allerdings beginnt eine neue Zeit anzubrechen: Irgendwas ist zu der Zeit offenbar in der christlichen Kirche passiert – es setzt eine Art Unruhe ein (oder nimmt zu), in der die Diskussionen über das "Richtige und Wahre" um sich greifen – was einerseits die Debattenkultur anfeuert, aber andererseits dazu führt, dass "endgültige Entscheidungen" fallen: Und eine dieser Entscheidungen ist, dass (damals erst) Aristoteles – mittelbar durch Thomas von Aquin – zum "Fachthemen-Heiligen" der Kirche wird, dem man praktisch wie der Bibel zubilligt, dass er (oder eigentlich das, was von ihm tradiert und interpretiert wurde) nur die Wahrheit spricht. Und wegen dessen "Heiligsprechung des Kreises" – wenn ich das so nennen darf – auf der einen Seite, der selbstverständlichen und noch dazu religiös untermauerten Annahme der Erde im Mittelpunkt des Universums (wieso hätte sonst Gott seinen Sohn ausgerechnet auf die Erde schicken sollen?!) andererseits wird nun indirekt Ptolemäus' Epizykeltheorie "heilig", kann also nicht mehr als eine Theorie mit Alternativen diskutiert werden.

Nur leider – die Epizykeltheorie funktioniert nicht.

Das stellt sich um 1600 heraus, z.B. als Tyho v. Brahe, der etwas jähzornige genialste Astronom seiner Zeit, die Messgenauigkeit von Sternenorten auf die Spitze dessen treibt, was man ohne Fernrohre (die um diese Zeit erst erfunden werden) erreichen kann. In den "Rudolfinischen Tabellen" (so genannt nach Kaiser Rudolf II., der Brahe 1599 als Hofmathematiker nach Prag holte) gab er so genaue Koordinaten insbesondere für die Positionen des Mars an, dass klar wurde, dass die alten Theorien falsch sein mussten. Und weil Kopernikus (ein katholischer Bischof!) das heliozentrische System, wo die Erde um die Sonne kreist, in seiner wichtigsten Schrift "wiedererweckt" hatte, gab es nun eine Alternative zur "heiligen Wahrheit".

Der "Showdown" findet in Italien, zwischen Galilei und der katholischen Kirche statt (wobei der damalige Papst und mehrere Kardinäle in weiten Strecken Galilei de facto unterstützten; aber aus politischen Gründen – nämlich dass eben die Lehre der Kirche nicht angezweifelt werden darf – musste Galilei bestraft werden). Galilei und ein anderer Italiener entdecken übrigens die "Venusphasen" (also dass es "volle", "halbe" und "Neu-Venus" gibt wie beim Mond), was ebenfalls die Epizykeltheorie widerlegt – was den beiden auch vollkommen klar ist; aber das ist ein anderes Thema.

Mit diesen Erkenntnissen bricht nun massiv die "zweite Geburtsstunde der Naturwissenschaft" an: Genauere Beobachtungen und vor allem ein parallel zu erfundener mathematischer Apparat – von Kepler und Galilei auf Basis des alten Griechen Euklid begonnen – führen zum ersten Höhepunkt, der Erklärung aller Bewegungen in der Physik durch Isaac Newton. Danach ist die Menschheit von ihrer Annahme, dass sie alles verstehen und erklären könne, nicht mehr zu heilen: Das industrielle Zeitalter bricht an, in dem mit tatkräftiger Mithilfe der Physik und Mathematik alles unternommen wird, was unternommen werden kann: Von der Synthetisierung von Giftgas über die Produktion hunderter Atombomben, die für eine dutzendfache Vernichtung der Erde reichen, bis zur Umwandlung alles tief in der Erde gespeicherten Kohlenstoffs in atmosphärisches Kohlendioxid zum Zwecke der Urlaubsfliegerei und des Klimaanlagenbetriebs, weil uns die Sonne zu heiß ist – und das alles in solchen megalomanen Umfängen, dass es nun heutzutage die Menschheit und die ganze Erde selbst bedroht. Weit haben wir's gebracht – aber das würde nun ein anderes Thema werden.

Ja, aber ... was ist nun die Epizykeltheorie? Hier geht es weiter.

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